Rückblick: Stadthausveranstaltung 2025

Die Basis unseres Daseins

Wenn man über Wiesen läuft und den Blick über Felder und Äcker schweifen lässt, kann man sich an der Natur erfreuen, die noch so viel mehr zu bieten hat. Doch viele wissen nicht, welche tierischen Schätze in unseren Böden stecken. Wer Gast bei der diesjährigen Stadthausveranstaltung „Der Zukunft den Boden bereiten – Besser leben mit Biodiversität“ des Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung (unw) e.V. war, ist um einiges schlauer.
Für Ulms Oberbürgermeister Martin Ansbacher, Schirmherr der Veranstaltung im sehr gut besuchten Stadthaussaal, war das Thema des Abends in Bezug auf die zukünftige Stadtgestaltung höchst aktuell: „Mit der Landesgartenschau entsteht bis 2030 ein neuer Stadtraum, der Biodiversität widerspiegeln soll und wird.“ Zwar habe Ulm schon viel auf den Weg gebracht in Sachen Nachhaltigkeit und Klimaschutz, dennoch seien die Herausforderungen nach wie vor groß, so das Stadtoberhaupt. Der unw sei seit vielen Jahren prädestiniert, um diesen Themen den Boden zu bereiten, so auch der schwindenden Artenvielfalt. Grund und Boden seien die Basis für unser Leben und so auch für unsere Zukunft, doch die globale Ausbeutung der Böden reiche auch durch Versiegelungen bis in die Stadt Ulm hinein. Martin Ansbacher: „Wie bei vielen globalen Problemen muss man lokal aktiv werden. Dem Rückgang der Biodiversität, dem Verlust von Lebensräumen für viele Arten, muss entgegengewirkt werden.“ Im Stadtraum Ulm gebe es, laut Martin Ansbacher, bereits 580 Biotope, darunter Streuobstwiesen und naturnahe Gewässer: „Viele sollen dazukommen und auch miteinander vernetzt werden.“

Komplexität ins Bewusstsein rücken
Dr. Martin Müller sagte bei seiner Begrüßung, dass vielen Menschen die Dimension des Themas Biodiversität noch nicht ganz klar sei. Da benötige es schon konkrete Beispiele. Dieses könne eine Fahrt auf der Autobahn sein. „Hier kann man sehr gut erkennen, dass die Windschutzscheibe schon lange nicht mehr von so vielen Insekten gereinigt werden muss wie noch vor zehn Jahren“, so der unw-Vorsitzende. Der Antrieb des unw, das Thema Artenvielfalt einmal öffentlich zu machen, war, die enorme Komplexität ins Bewusstsein zu rücken. Dabei richtete der Initiativkreis bei der diesjährigen Stadthausveranstaltung den Blick speziell auf die Böden.
Dies tat auch Prof. Dr. Emma Sayer mit ihrem Vortrag „Ein Universum unter unseren Füßen“. Für die Leiterin des Instituts für Botanik an der Universität Ulm ist klar, dass wir Ökosysteme und Pflanzenarten nicht verstehen können, wenn wir nicht wissen, was in den Böden passiert. Und diese Böden seien hauchdünne Schichten auf der Oberfläche unseres Planeten: „Aber sie sind auch die Basis unseres Daseins, sie speichern und filtern unser Wasser und auf ihnen wachsen 95 Prozent unserer Lebensmittel.“ Obwohl wir alle auf den Böden lebten, schenkten wir Menschen ihnen kaum Beachtung, ja auch die Forschung wisse noch kaum etwas über sie. „Sobald wir Messungen machen und Proben nehmen, verändern wir das, was wir erforschen wollen“, so die Professorin.

Böden sind keine erneuerbaren Ressourcen

Bis ein Zentimeter Boden durch den natürlichen Abtrag von Gestein unter optimalen Bedingungen gebildet sei, dauere es mitunter mehrere tausend Jahre: „Aus der Sicht des Menschen ist der Boden also keine erneuerbare Ressource.“ 
Es gebe auf der ganzen Erde zwölf Bodentypen, die aus dem Zusammenspiel von Geologie, Klima, Topographie, biologischer Aktivität und vor allem Zeit entstünden. Doch durch die Abholzung von Wäldern würde, so Emma Sayer, zum Beispiel die schützende Vegetationsdecke entfernt, die Oberböden durch starke Regenfälle würden weggeschwemmt. In den Tropen sei dies besonders gravierend. Auch eine nicht nachhaltige Landwirtschaft trage zum Verlust der Artenvielfalt bei: „Bleiben die Böden nach einer Ernte vegetationsfrei, können Nährstoffe und wichtige organische Materialien durch Wind abgetragen werden.“ Zudem würden die Menschen die Böden vergiften. Emma Sayer: „Mikroplastik-Partikel, Pestizide, Schwermetalle und Kohlenwasserstoffe machen unsere Böden für viele Jahrhunderte leblos und sogar gefährlich.“

Wir behandeln Böden wie Dreck
Allein in der Europäischen Union gebe es 2,5 Millionen Standorte mit stark verschmutzten Böden. Die Botanikerin ist sicher: Vernichtete Böden zerstören auch die Gesellschaft: „Eine landwirtschaftliche Produktion ist von gesunden Böden abhängig.“ Die Verschlechterung der Bodenqualität solle, so die Forscherin, unter anderem auch zum Untergang der Mayakultur und des römischen Reichs beigetragen haben: „Leider sieht es so aus, als ob wir heute den gleichen Fehler machen, denn wir behandeln den Boden wie Dreck. Dabei ist er doch so ein Schatz.“ In einem Gramm Boden gäbe es etwa ein Milliarde Mikroorganismen, die wir nie zu Gesicht bekommen werden. Doch durch sie können Pflanzen Nährstoffe gewinnen. Da gebe es zum Beispiel die Springschwänze, das seien Sechsfüßler, die dazu beitrügen, dass organische Stoffe im Boden angereichert würden. Und da wirkten auch die Regenwürmer, die Pflanzenreste zerkauten, verdauten, in den Boden integrierten und so die Zersetzungsprozesse beschleunigten: „Von den in Deutschland mehr als 40 einheimischen Arten findet man 31 in Baden-Württemberg.“ Für Emma Sayer ist klar: „Wenn wir den Wert der Böden verstehen, können wir sie besser bewirtschaften und schützen, denn sie sind der Schlüssel zur Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit.“

Den Böden eine Stimme geben
Dr. Tobias Orthen legte seinem Vortrag „Wir steh´n drauf – Böden besser machen“ die Frage zugrunde, wie wir für alle Menschen auf dieser Welt eine vernünftige Lebenssituation schaffen wollen. Ein Problem sei Dürre, die man gemeinhin mit afrikanischen Ländern oder Steppen verbinde: „Dürre tritt in der wissenschaftlichen Definition jedoch relativ häufig auch bei uns in Europa auf.“ Für den Mitbegründer des Ulmer Startups „better soil“ sind Böden das am meisten vernachlässigte Thema im Bereich Nachhaltigkeit. Aus diesem Grund engagiert sich der gelernte Physiker für das junge Unternehmen, das den Böden eine Stimme geben möchte durch Bewusstseinsbildung und durch praktisches Handeln. Klar sei, dass man die Böden füttern müsse: „Wenn man dem Boden etwas entnimmt, wie zum Beispiel Kartoffeln, muss man ihm organische Substanzen zurückgeben, damit wieder Neues entstehen kann.“ Mit Kompostierung und Pflanzenkohle könne man im Sinne einer Kreislaufwirtschaft viele übriggebliebene Stoffe wiederverwerten. Tobias Orthen: „Man kann an vielen Stellen tolle Dinge tun. Das Geschäftsmodell, mit natürlichen Abfallprodukten Böden zu verbessern, kann funktionieren, wenn Betriebe es wirklich möchten, Risiko übernehmen und zum Beispiel auch in fachliche Beratung investieren.“ Das Unternehmen better soil unterstütze dabei Projekte im Iran und auch in Nordrhein-Westfalen, wo Rindermist zu einem hochwertigen Bodenverbesserer verarbeitet werde und so die Bodenqualität zum Beispiel für den Anbau von Zucchini und Salat steigere.

Pilzdominierter Kompost
Mit Böden beschäftigt sich auch der Bio-Landwirt Wolfram Wiggert, der in Löffingen am Rande des Hochschwarzwaldes den nachhaltig bewirtschafteten Haslachhof mit Biogas-Anlage und einer Agri-Photovoltaikanlage für Energieerzeugung betreibt. Zum Getreideanbau habe er vor zwei Jahren auch Rispenhirse hinzugefügt, eine für Höhenlagen ungewöhnliche Kultur, die die Wärme liebe und auch mit Trockenheit gut zurechtkomme: „Aufgrund des Klimawandels muss man einfach umdenken.“ Zum Haslachhof gehören 140 Hektar Grünland, davon 40 Hektar ungedüngte Flora-Fauna-Habitatflächen, auf denen Hinterwälder-Kühe lebten, die sich den kargen Bodenverhältnissen des Südschwarzwaldes angepasst hätten. Wolfram Wiggert: „Zudem stellen wir einen pilzdominierten Kompost her, den wir an das Saatgut anmischen. Somit unterstützt der Kompost beim Wachstum von Pflanzen die Symbiose zwischen Wurzel und Boden.“ Auf diese Weise genüge es, wesentlich weniger Kompost auf die Felder auszubringen.   

Mehr Kommunikation durch Wissenschaftler
Neben dem Landwirt und Dr. Emma Sayer bat Moderator Marian Kazda nach den drei Vorträgen auch Azadeh Farajpour auf das Podium. Die Gründerin und Geschäftsführerin von better soil sieht es als ihre Aufgabe an, Menschen zu motivieren und zu mobilisieren: „Wie viele der mittlerweile zehn Milliarden Erdenbewohner wissen denn, was der Boden ist und was er bedeutet?“ Auf Instagram oder LinkedIn bespielt, ernte das Thema kaum mehr als 50 Posts. Diese Wissenslücke gelte es zu schließen: „Wir müssen mit Bildern den Usern deutlich machen, dass alles, was sich unter unseren Füßen befindet, Gold wert ist.“ Aber wie könne man die Menschen am besten erreichen, fragte Marian Kazda auch Emma Sayer. Ihre Antwort: „Wir müssen es schaffen, dass noch mehr Wissenschaftler die Aufgabe des Wissenstransfers übernehmen und auch lernen, dies gut zu machen.“ Dazu benötige es jedoch viel Zeit, die die Forschungseinrichtungen zur Verfügung stellen müssten. Nur wer kreativ sei, könne Wege finden, die Faszination der Forschung mit den Menschen zu teilen, so die Ulmer Biologie-Professorin.
Für Wolfram Wiggert findet derzeit ein Wandel statt: „Man merkt, dass das Interesse von jungen Menschen an nachhaltigen Wirtschaftsweisen wächst.“ Dies seien jedoch langsame Entwicklungen: „Einen landwirtschaftlichen Betrieb dreht man nicht von heute auf morgen um 180 Grad. Dennoch wäre es wünschenswert, wenn diese Prozesse schneller gelingen würden.“

Verschmutzung ist gefährlich
Klare Antworten bei der Podiumsdiskussion gab es auch auf die Frage von Marian Kazda, was denn die größten Gefahren für die Böden seien? Azadeh Farajpour: „Das Schlimmste ist, wenn man den Boden mit Chemikalien abspritzt, bis alles tot ist.“ Auch für Emma Sayer ist Verschmutzung die am weitesten verbreitete Gefahr: „Aber auch Erosion ist in Zeiten des Klimawandels ein großes Problem.“ Wolfram Wiggert sah das durchaus selbstkritisch: „Einen sehr negativen Einfluss haben natürlich die großen Maschinen, die wir benutzen, auch wenn wir mit Reifendruckregelanlagen versuchen, den Druck auf den Boden etwas abzumildern.“ Eine Ertragssteigerung bei der Ernte sei mit verdichteten Böden nicht mehr möglich. Ein weiteres Thema der Gesprächsrunde: Vertical Farming. Dies ist ein landwirtschaftliches Konzept, bei dem die Produktion auf mehreren Etagen übereinander stattfindet, um urbanen Raum nachhaltig landwirtschaftlich zu nutzen. Für Wolfram Wiggert leider ein Konzept, das zum Scheitern verurteilt sei: „Viele Investoren sind mit diesem System pleite gegangen, da es sehr viel Energie benötigt.“ Zudem seien in einem Gewächshaus oder in einer Fabrik die natürlichen Prozesse eines Bodens für eine gesunde Lebensmittelerzeugung sehr schwer zu erreichen. Auch für Marian Kazda ist das Gefüge der Natur kaum nachbaubar: „Deshalb ist es eben so wichtig, dass wir die Natur schützen.“ Emma Sayer brachte diesen gemeinsamen Wunsch aller Teilnehmenden und wohl auch des Publikums am Ende des Abends auf den Punkt. Auf die Frage, wie sie sich einen Boden wünsche, sagte sie spontan: „Gesund und voller Leben.“  

Wie können unsere Böden mehr Wertschätzung erhalten? Darüber diskutierten bei der diesjährigen unw-Stadthaus­veranstaltung (v.l.n.r.) Moderator Marian Kazda mit Azadeh Farajpour, Gründerin des Ulmer Startups „better soil“, Dr. Emma Sayer vom Institut für Botanik an der Universität Ulm und Wolfram Wiggert, Bio-Landwirt aus dem Schwarzwald.
Foto: Stefan Loeffler